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Tour 2023
Bildergalerie Trainingszeit
Tourberichte
Überlingen - Landquart

142 km | 170 Höhe


 

 

Donnerstag, 25. Mai 2023

„Tour de Lauro!“ Diese eigene Tonfolge, diese kurze Melodie, mit denen diese drei Worte seit Jahren gesungen, ja eher zugerufen werden, auf der Tour, beim Training, tönt überall über den Hof. Und „Tour de Lauro“ singt es im Kopf. Die Sonne scheint, der Schulhof bei der Buswendeschleife ist voller SchülerInnen und Eltern, die Autos der Tour werden noch gepackt, es „summt“ auf dem Schulhof.

Und dann geht es los! In geordneten Gruppen lösen sich die Radler aus dem großen Kreis, und Gruppe für Gruppe zieht unter Jubel und Applaus los. Was für ein Gefühl, durch ein jubelndes Spalier zu fahren, um die Schule, und dann noch einmal durch die jubelnde Menge. Jetzt geht’s los! Die Kurbel dreht sich. „Einerreihe“ kommt das Kommando von vorne. „Einerreihe“ wird es durch die Gruppe nach hinten gegeben. Und in geordneter Reihe ziehen die neun Gruppen über die Brücke gen LaPiazza, dann nach Überlingen an den See, am See entlang. Jetzt geht’s los! Was der Tag wohl bringen mag? Schaffe ich die 150 km heute, oder muss ich ins Begleitauto? Ja, das schaffe ich bestimmt!

 

 

Die Sonne strahlt, der Wind ist kühl, Die SchülerInnen bleiben im Windschatten des Vordermanns, die Gruppe zieht. Nussdorf, Maurach, Uhldingen, alles noch einigermaßen bekannte Orte. Der See glänzt blau und der Wind kräuselt leicht das Wasser. Aber wer hat schon für diese Schönheiten einen Blick. „Rechts abbiegen!“ kommt das Kommando von vorne, „rechts abbiegen!“ wird es durch die Gruppe gegeben, alles schon Routine. Große Aufmerksamkeit. Nur nicht dem Vordermann reinfahren, wir sind jetzt auf der Tour, unserer großen Tour!

Der Wind schieb die Gruppen vor sich her, auf dem Rad sitzen fühlt sich leicht an, fast wie fliegen. Konzentriert schlängeln sich die Gruppen durch Dörfer und Städte am See, vorbei an Fußgängern, anderen Radfahrern, Baustellen oder auch einer Komplettsperrung in Lindau, bei der es heißt, absteigen und schieben. Doch mit solch neuen Situationen gehen die Kinder souverän um, sie haben gelernt, wie sie im Straßenverkehr agieren und reagieren, ruhig bleiben und durchatmen. Vertrauen von Seiten der SchülerInnen zu den Begleitpersonen und umgekehrt ist dabei unverzichtbar.

Und dann verlassen wir Deutschland, die Fahrradwege werden breiter, die Schlaglöcher weniger und die Wegführung ein Traum – sicher das liegt auch an der Route. Nach Bregenz einmal eingefädelt geht es schnurgerade den Rhein entlang. Monotonie, Schönheit in gleichbleibender Schlichtheit – manche würde vielleicht sagen Langeweile – begleiten uns. Und dann verheißungsvolle Worte, Kreide auf Teer: Pause! Abbiegen, absteigen, Räder abstellen, vespern. Arm- und Beinlinge abziehen, wenn nicht schon geschehen, mit Sonnenschutz eincremen, zusammen packen, aufsitzen, abfahren. Weiter den Rhein entlang, alles gerade aus. Der Rückenwind schiebt mächtig. Aber das merkt man nur am Tacho, der auf konstant 30, 32, 34 km/h klettert. Die Räder fliegen in Zweierreihe. Doch die Landschaft bleibt trotz Schönheit immer gleich. Und Monotonie kann nervtötend sein. Doch Langeweile macht erfinderisch. Wir lenken unsere Aufmerksamkeit von schmerzenden Hintern und Beinen auf bekannte und unbekannte Liedmelodien, singen und dichten eigene Texte.

Und dann sind es nur noch 10 km, soweit wie von der Schule nach Frickingen – das geht ja… und dann das Ortsschild Landquart, die Campingplatzeinfahrt und jubelnde Tourmitglieder, die uns empfangen. Wohlbehalten und glücklich angekommen.

Auf dem Campingplatz ist die Küche der Mittelpunkt, der Nabel der Welt. Es gibt Kuchen, Obst, verschiedene kalte und warme Getränke zum Ankommen, Schwätzen, Entspannen, Kräfte Auftanken, welch ein Luxus. Der Gepäcklaster ist offen, die Taschen stehen bereit, die SchülerInnen bauen ihre Zelte auf, die Duschen werden gestürmt, ein munteres Treiben. Gruppe für Gruppe zieht auf den Platz, der sich immer munterer füllt. Und dann kommt die letzte Gruppe, wird mit Jubel empfangen: Wir sind da! Wir haben diesen tollen Tag geschafft.

Die Küchengruppe hatte heute einen recht ruhigen Tag. Morgens noch viele Lebensmittel in den Laster räumen, es ist viel Zeit. Schon vor 14 Uhr sind sie auf dem Campingplatz, bauen die Küche auf, bereiten die Kuchen, Obst und Getränke, und dann ist noch etwas Zeit mit Ruhe vor dem Ansturm. Heute musste auch keiner kochen, denn Dominik, Koch und Caterer und eine Freund der Familie Falke, ist so begeistert von unserer Tour, dass er heute für uns gekocht und uns das Essen hierher nach Landquart gebracht hat – was für ein toller Anfang.

Gegen 19 Uhr wird zum Essen gerufen, eine lange Schlange bildet sich, und das große Gemeinschaftszelt füllt sich mit zufriedenen Radlern. Nach dem Salat und Hauptgang macht Miriam einen Rückblick auf den Tag, einen Vorblick auf morgen und die Gruppeneinteilungen für morgen. Dann gehen die Gruppen zu ihren Rädern zur Räderpflege.

Es wird dunkel, in den Zelten wird es ruhig. Alle Begleiter setzen sich im Gemeinschaftszelt zusammen, besprechen einzelne Gruppen, die Routenführung von Morgen, technische Details, sodass alle auf Stand sind.

Diese Berichte werden von Katja Waldvogel und Markus Heyerhoff geschrieben, ein Blick aus der Perspektive der Radlerin, der andere von den Erlebnissen aus einem der Begleitautos. Hier und da merkt man vielleicht den Stilwechsel mitten im Bericht. Viel gibt es noch zu erzählen, die Tage sind so voller Erlebnisse. Und es können in diesen Berichten immer nur winzige Teile von all dem Erlebten erzählt werden.

Und Morgen geht es bergauf. Nur eine kurze Etappe, 70 km, denkbar schönste Landschaft. Und eigentlich keine große Herausforderung. Und das ist auch gut so. Denn die Herausforderung kommt übermorgen, das wird ein Highlight.

 

Landquart - Splügen (Dorf)

70 km | 1140 Höhenmeter


 

Freitag, 26. Mai 2023

Um 5:30 klingelt der Wecker bei Mitgliedern des Küchenteams. Es ist noch dämmrig und ziemlich frisch. Hunderte Brotscheiben werden geschnitten, Wurst, Käse, Aufschnitt gerichtet, Nutella, Honig Marmelade, Kuchen von gestern, Bananen, Gurkenstücke, Trauben, das Büffet sieht toll aus. Und natürlich die großen Schüsseln mit dem Birchermüsli für das Frühstück. Kaffee wird gekocht, Tee, warmer Kakao gerichtet. Gegen 7 Uhr wird’s auf dem Platz lebendig. Die ersten stehen mit einem Becher dampfenden Kaffees beim Küchenwagen, und um 7:30 ertönt die große Kuhglocke. Sofort bildet sich die lange Schlange vor dem Büffel, das Gemeinschaftszelt füllt sich, Essen und Plaudern überall.

Frühstücken, Zelte abbauen und das Gepäck vor dem Gepäcklaster stapeln. Gemeinschaftszelt und Tische und Bänke abbauen, die Ketten bilden und mit vielen Händen alles einladen.

Die ersten Gruppen verlassen kurz vor 9 Uhr den Platz, dann ziehen Gruppe um Gruppe von dannen. Es wird ruhiger, bis um 9:35  nur noch das Küchenteam die Küche putzt und alles zusammenräumt. Zu „Hit the road Jack“ werden die Hüften geschwungen… „and don´t you come back no more“. Nein, zurückkommen werden wir an diesen Ort nicht. Für uns geht es immer weiter dem Ziel entgegen, Etappe für Etappe,  Kilometer für Kilometer, Tritt für Tritt.

Die Sonne leuchtet, der blaue Himmel strahlt über uns, es weht ein frischer Nordwind. Perfektes Wetter zum Radeln! Oder doch nicht? Heute haben wir eine einfache Etappe – abgesehen von den 1.140 Höhenmetern, die überwunden werden wollen. Aber alles der Reihe nach...

Es geht in der Ebene Richtung Chur. Wie gestern ein Stück den Rhein entlang, wie gestern mit Rückenwind. Blumen säumen den Weg, Kuhglockengeläut dringt an unsere Ohren, rechts und links beeindruckende Bergketten, die sich verengen und weiten, aber nicht mehr verschwinden.

Die beiden Begleitautos haben genaue Rollenverteilung: Anette hat das Vespergepäck, muss daher als erstes beim Mittagsplatz sein und bleibt deshalb bei den vordersten Gruppen. Markus hat Werkzeug und Ersatzteile und bleibt hinten, um vor allem die hinteren Gruppen sofort wieder auf die Straße zu bringen, wenn irgendwo etwas kaputt ist oder die Gesundheit Kopf steht.
Das hintere Begleitauto ist 5 min unterwegs als das Telefon klingelt: Magenprobleme in Gruppe 1, also ganz vorne. Anettes Handy streikt, Markus muss ran. In der Schweiz kostet so ein Anruf schnell ein Vermögen, denn da EU-Telefon- und Datentarife nicht gelten, gehen Prepaid-SIM-Karten in Nullkommanix leer. „Wir stehen im Grünen, in einem Wald und sehen zwei weiße Türme!“ sind die Anweisungen per Telefon an ihn. Aha, präzise Ortsangabe also und top Orientierung. Da mobile Daten in dieser gestrandeten Gruppe nicht funktionieren - Schweiz eben - ist auch mit GoogleMaps keine Standortübermittlung möglich. Nach weiterer Beschreibung steht eine Vermutung; Markus macht sich auf den Weg, doch keine Gruppe zufinden. Nochmal telefonieren: „Chur, zwei weiße Hochhäuser.“ Leider gibt es viele davon in Chur. Doch bald ist der Ort einigermaßen lokalisiert und Markus macht sich wieder auf den Weg, bis er vor einem Schild steht: Militärisches Sperrgebiet, Durchfahrt verboten. Und es steht gleich ein Polizeiwagen daneben. Da sollte man nicht einfach weiterfahren. Die Route geht also durchs Sperrgebiet, hmm, sehr clever, aber Fahrräder dürfen dort tatsächlich fahren. So ist die Gruppe aber nie zu finden. Markus fragt die Polizisten, ob man da fahren dürfe. „Nein!“ Aber die Polizisten werden misstrauisch: „Warum will er da rein?“ Markus erklärt, die Gesichter der Polizisten hellen sich schnell auf, Begeisterung kommt: Nach Neapel? 50 Kinder? 13 Jahre alt. „Wir fahren vor!“ Und dann fährt das blaue Begleitauto mit Polizeieskorte durch das Sperrgebiet. Leider ist Gruppe 1 schon weitergefahren auf der Suche nach genaueren Ortsangaben, und am Ende des Sperrgebiets wundern sich die Polizisten, wo die Kinder sind. Markus auch. Aber dann klingelt das Telefon. Wir sind in Felsberg an der Kirche. Die Polizisten erklären den Weg und wünschen eine tolle Reise. Bei der Gruppe angelangt werden mit Birkenkohle und Magentropfen die Beschwerden kuriert und weiter gehts.  „Schaltzug gerissen in Gruppe 6 in Tramins!“ heißt es beim nächsten Anruf, der nicht lange auf sich warten lässt. 10 Minuten später ist das Begleitauto mit Schaltzug und Werkzeug zur Stelle.

Soweit so gut. Alles Probleme, denen schnell Abhilfe geschaffen werden konnte. Doch die ersten Steigungen kommen bei Bonaduz. Kurz aber knackig. Die Sonne brennt – sind wir in diesem Jahr noch gar nicht gewohnt – die Wasserflaschen leeren sich schnell, werden am Begleitauto aufgefüllt. Bis zum Mittagsplatz in Andeer sind es nur noch 25 km, die durch die unglaublich schöne Viamala-Schlucht führen. Doch die Meter wollen erkämpft werden, verlangen Ausdauern und Kraft, ermutigende Worte, eine Hand auf dem Rücken. An einem Aussichtspunkt machen fast alle Gruppen einen kurzen Halt, um auf den winzigen Rhein tief unten in den Felsen zu schauen, der für das angenehm kühle(re) Klima verantwortlich ist. Das entspannt den Kopf und lässt andere Gedanken zu. So sind wir von schönster Berglandschaft und beeindruckenden Felswänden umgeben.

Und doch gibt es heute Knieschmerzen, Magen- und Kreislaufbeschwerden, Zwerchfellkrämpfe. Das Begleitauto füllt sich mit Kindern. Nach der Mittagspause in Andeer sind es sechs, die in den beiden Begleitautos mitfahren – und es werden mehr auf den letzten 15 km. Doch im Auto ist die Stimmung schnell wieder gut; Lachen, Musik aus dem Radio, die Gruppen anfeuern, und am Campingplatz ist die Welt wieder in Ordnung – sowieso, da ein Teil der Kinder heute vom Zeltaufbau verschont bleibt und in Stockbetten im Haus des Platzes übernachtet.

Auf dem Platz steht wieder der Küchenwagen als seelisches Zentrum des Zeltplatzes. Es duftet nach Curry, neugierige Blicke gehen zu den großen, dampfenden Töpfen und der riesigen Stahlplatte, die mit einer 48 kW-Gasflamme erhitzt wird und das Fleisch zum Hühnchen-Curry brät. Das wird ein schöner Abend!

Und dann gehen unsere Blicke hoch zur Passstraße, die morgen auf uns wartet, voll Vorfreude auf den kommenden Tag, der uns erst in den Schnee oben am Pass und dann nach Italien bringen wird. Jetzt sammeln wir unsere Kräfte und lassen den Tag gemütlich ausklingen.

Splügen (Dorf) - Lecco

114 km | 980 Höhenmeter


 

 

 

Samstag, 27. Mai 2023

Was für ein Tag heute: Vom Winter zum Hochsommer, Schnee und Hitze, im Flow die vielen Serpentinen rauf und dann 30 km Abfahrt bis die Hände schmerzen. Sengende Sonne und Gegenwind bis die Laune am Tiefpunkt ist, eine gesperrte Straße, und dann eine ganz neue Route mit Fährfahrt bei guter Laune. Ein Tag mit etwas von allem und am Ende mit einer fröhlichen Ankunft und dem Gefühl, etwas Unglaubliches erlebt zu haben.

In der Nacht ist es kalt in Splügen Dorf. Richtig kalt. 2°C sagt jemand. Sternenklar und wie im Winter. Zum Glück sind die Hälfte der Kinder im Haus untergebracht und schlafen im Warmen. Und die andere Hälfte teilt sich in diejenigen, die einen sehr warmen Schlafsack haben, und in diejenigen, die die Nacht über schnattern. Doch morgens scheint wieder die Sonne und schnell ist es ausreichend warm für alle. Das Morgenprocedere wird langsam zur Gewohnheit: Frühstücken, Umziehen, Zelte abbauen, einladen, in Gruppen sammeln, losfahren. Doch etwas ist anders: Es liegt eine freudige bis nervöse Erwartung in der Luft, ein Vibrieren in den Gruppen. Passfahrt! Über die Alpen. Vorbei an den letzten Schneefeldern, immer weiter hoch.

Mit hoher Konzentration suchen die Gruppen in ihren Tritt, ziehen im jeweiligen Tempo die ersten Serpentinen hoch, die schon am Vortag vom Campingplatz aus zu sehen waren. Gruppe folgt auf Gruppe, sie rufen sich motivierende Worte zu, der Teamgeist erwacht.  Der Weg führt durch den großen Hochtalkessel, ringsum himmelhohe Berge, weiß glitzernde Schneefelder. Nah scheint der Horizont und ist doch nicht zu greifen. Doch die steilen Serpentinen bringen uns höher, eine nach der anderen. Hoch hinaus, wir wachsen über uns hinaus. Der Wille ist da, manche Gruppen ziehen ohne jede Pause hoch. Andere machen wenige oder viele Pausen, schnaufen durch. Aber die Laune ist durchweg gut. Ein Gruppe gibt jeder Kehre einen ganz aus der Mode gekommenen Namen: Kunigunde, Elfriede, Brunhild, … und bei jedem neunen Namen ausgelassenes Gelächter, man freut sich schon auf den nächsten Namen. Schnell hoch, damit wir der Kehre einen Namen geben können. Eine andere Gruppe stoppt bei einem Schneefeld und baut den Lauro-Schneemann.

Die erste Gruppe am Pass wird von den SchülerInnen und Begleitern, die aus verschiedensten Gründen die Auffahrt nicht radeln konnten und im Begleitauto hochgefahren wurden, mit Jubel begrüßt. Je mehr oben ankommen, desto größer wird die Gruppe, die mit Laola die Neuankömmlinge empfängt. Schnell wird die warme Kleidung ausgeteilt, denn der Wind bläst kalt über die Schneefelder, und der Schweiß auf der Haut kühlt zusätzlich. Auch die Abfahrt wird kalt, sehr kalt. Die RadlerInnen sind verschwitzt und nun kommt eine Stunde ohne viel Bewegung aber mit kaltem Fahrtwind.

Zu einer solchen Tour gehört eine ausgefeilte Logistik, aus  jahrzehntelanger Erfahrung gewachsen und gut bewahrt von den erfahrenen Begleitern. Hier am Pass gibt das vordere Begleitauto die warme Radkleidung aus, die zuvor sorgfältig gerichtet wurde. Das andere Begleitauto wartet unten bis die letzte Gruppe den Campingplatz verlassen hat. Es ist der „Lumpensammler“ am Ende der Gruppen. Doch nun muss es zügig hoch zum Pass, denn es muss als erstes wieder den Pass verlassen, um in Chiavenna im Tal unten bereitzustehen, um die warme Kleidung gruppenweise sortiert wieder einzusammeln. So wird am Pass das vordere zum hinteren Auto, das hintere zum vorderen.

Die Abfahrt erfordert volle Konzentration, erlaubt nur wenige kurze Strecken zum Erholen und Entspannen der Hände. Sie umklammern die Bremshebel. Nach der Kehre rollenlassen, Tempo, Hände entspannen, dann wieder einbremsen, langsam die Kurve anzielen, geschmeidig hindurchgleiten, rollenlassen, Tempo, Hände entlasten, einbremsen und so fort. Die Abfahrt dauert etwa eine Stunde, ist anstrengend für Hände, Arme und Kopf!

Der Himmel ist blau, die Wiesen grün, die Blumen bunt, die Sonne hell, das Bergpanorama überwältigend. Gebirgsbäche stürzen in hohen Wasserfällen hinab, Raubvögel kreisen in den Lüften, von unten duftet feucht-süß der Wald. Doch die wenigsten haben einen Blick dafür. Der viele Pfingstverkehr nervt, alle Konzentration ist auf der Straße gefordert. Die Gruppen rollen in hohem Tempo zwischen Autos und dröhnenden Motorrädern. Auf der Strecke verschlucken mehrere Tunnel eine Gruppe nach der anderen. Von jetzt auf gleich absolute Dunkelheit. Nur das rote Rücklicht des Vorderen. Die Beleuchtung am Lenker reicht, um von den Autos gesehen zu werden nicht aber um die Straße zu erhellen. „Schlagloch!“ kommt von vorne der Ruf aus dem Schwarz. „Schlagloch!“ wird in der Gruppe nach hinten durchgerufen. Doch ein Schrei von hinten zeigt an, dass es zu spät ist. Unsichere Blicke nach hinten ins Schwarze. Aber es war nur der Schreck des Aufpralls im Schlagloch, alle Räder rollen noch. Die Herzen klopfen. Später berichten die meisten, dass das Abfahren anstrengender ist als der Anstieg auf den Pass!

Nachdem die warme Kleidung abgegeben und eine Toilettenpause gemacht wurde, geht es weiter Richtung Mittagsplatz. Dieser 30 km lange dritte Teil des heutigen Tages geht gegen den Wind an den Lago di Como, der sich glitzernd in die Landschaft einschmiegt. Freudig werden wir empfangen, erleichtert genießen wir unser Vesper und gönnen uns einen Moment der Ruhe im kühlenden Schatten der Bäume.

Es ist unglaublich, wie viel Koordination  und Wissen in dieser Etappe steckt, dass jedes Begleitauto zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und die Gruppen optimal versorgt sind. Die Tour de Lauro, das ist kein Campingurlaub, für niemanden. Sie ist Herausforderung, Erfahrung, Planung, Training, Empathie, Vertrauen und Entwicklung – etwas ganz besonderes, das das Leben prägt.

Es geht weiter. Die Trinkflaschen wurden aufgefüllt am großen Fass im Begleitauto. Aber gegen Hitze und Gegenwind kommt keine Organisation an, da hilft nur Wille!

„Miri! Ich werde weggeblasen!“ ruft eine Mädchenstimme von hinten in der Gruppe nach vorne. Die Straße schlängelt sich durchs Tal, der Wind kommt in Böen von der Seite. Miri schaut nachhinten und tatsächlich: In einer Böe wird das leichte Mädchen fast gegen die Leitplanke gedrückt.  Zäh kämpfen sich die Gruppen vor, Kilometer für Kilometer.

Die Strecke führt noch 50km am Ufer des Comer Sees entlang – aber Gegenwind und Hitze, sind nicht die einzigen Schwierigkeiten mit denen wir umgehen müssen. Plötzlich geht es nicht mehr weiter. Ein eingestürzter Tunnel versperrt die Uferstraße zwischen Fiumelatte und Fierna. Keine Umleitung! Kein Durchkommen!!! Die Fähre von Varenna nach Bellagio ist die einzige Möglichkeit nach Lecco zu kommen. Halbstündlich fahren sie, 64 Fährtickets sind gekauft. Nachdem alle neun Gruppen am Hafen eingetrudelt sind, Foto am See. Die Pause tut gut. Müdigkeit und Anstrengung verschwinden aus den Gesichtern – wir erleben etwas, was noch nie jemand vor uns erlebt hat. Mit etwa 70 Rädern geht es auf die Fähre, für alle Anwesenden ein merklich ungewöhnlicher Anblick.

Nun geht es am Ostufer der Südhalbinsel des Comer Sees entlang. Ohne die vielen Autos wäre es eine traumhafte Küstenstraße, so erfordern die letzten Kilometer aber nochmal volle Konzentration. Dankbar sind wir für die Verpflegung mit frischem Obst und Kuchen, die an einer Straßeneinbuchtung für uns bereit steht und Kraft schenkt für die letzten Kilometer. Im Nu kommt Gruppe für Gruppe auf dem Campingplatz an. Räder abstellen, Zelte aufbauen, duschen. Und bevor es richtig anfängt zu gewittern und regnen, sitzen alle vor einem warmen Teller und genießen das Essen. Spüldienst übernehmen an diesem Abend die BegleiterInnen. Dankbar gehen die SchülerInnen schlafen und sind gespannt wie wohl der morgige Ruhetag ablaufen wird.

Ruhetag in Lecco

Pfingstsonntag, 28. Mai 2023

Ruhetag. Wir haben es uns auch verdient. Ein Ruhetag zeichnet sich aus durch Ruhe, Pflege der Ausrüstung und viel Freizeit und Spaß. Und der Tag fängt schonmal gut an: Ausschlafen und von 8:30 bis 10:00 Uhr ein tolles Frühstücksbüffet mit Spiegelei und Speck zusätzlich zu dem eh schon reichhaltigen Büffet sonst.

Lecco - Cremona

126 km | 370 Höhenmeter


 

 

Pfingstmontag, 29. Mai 2023

Frisch und fröhlich geht’s aufs Rad,
Komme was mag,
Am Tag zuvor so wohl geruht,
Packt uns neuer Mut.

Es wird geradelt im Wind
Durch die Po-Ebene geschwind,
Von Ort zu Ort,
Kaum hier schon wieder fort.

Die Hintern schmerzen,
Doch wir scherzen,
Lachen viel,
Es ist ein Spiel.

Nur nicht stehen,
Sonst wir eingehen,
In der Hitze der Sonne,
Nah sind sich Fluch und Wonne.

Im Schatten vom Kirchenhaus,
Ruhen wird uns dankbar aus.
Erfrischend ist das kühle Nass
Ausgelassen ham wir Spaß.

Entlang dem Po,
Hei sind wir froh,
Die letzten Kilometer,
Fest in die Treter.

Viel erlebt, viel gesehen,
Kommen wir zu stehen.
Das Essen schmeckt,
Schnell zugedeckt.

Schlafen.

Cremona - Reggio nell´Emilia

96,7 km | 180 Höhenmeter


 

Pfingstdienstag, 30. Mai 2023

Die Nacht ist nicht leicht: Ca. 500 m von uns entfernt, in einem Park, findet ein akustisches Kunstprojekt statt. Alle ca. 10 Minuten tönen für ca. 5 Minuten aus großen Lautsprechern extrem laut Maschinengeräusche mit Musikschnipseln und anderen, unangenehmen an- und abschwellenden Geräuschen. Es hört sich an, wie von einer KI generiert. Dann ca. 5 Minuten Ruhe, dann geht es wieder los. Da es bis zu uns sehr laut ist und die Geräusche so widerlich, ist es extrem unangenehm. Und es geht die ganze Nacht durch, keine Nachtruhe!!! Wer kommt auf so eine destruktive Idee? Manche von uns können die Geräusche ausblenden, manchen Kindern und Betreuern wird viel Schlaf geraubt. Das kann unseren heutigen Tag im Untergrund beeinträchtigen.

Unabhängig davon beginnt das Leben auf dem Campingplatz wie jeden Morgen gegen 6 Uhr in der Küche und schwillt in Laufe der nächsten Stunde leise an. Um 7 Uhr werden die Kinder von Markus mit Gitarre und dem Lied „In deinen Augen die Sonne“ geweckt. Dann beginnt das geschäftige Treiben.

Die heutige Etappe ist sehr ähnlich zu der gestrigen: flach und heiß. Und kürzer. „Warum fahren wir heute nur so wenig?“ wird gefragt. Und das bei 97 km. Wie sich die Maßstäbe verschieben. Heute werden weite Strecken auf kleinen Teerwegen auf Dämmen des Flusses Po gefahren und weniger im dichten Verkehr.  Die Herausforderungen des heutigen Tages: Schlaglöcher. Der vorderste Fahrer umfährt sie, die nachfolgenden fahren genau in dessen Spur. Heute klappt das gut, denn niemand möchte mehr platte Reifen haben.

Es geht durch eine Vielfalt an Feldern: Getreide, teils mit viel wunderschönem roten Mohn dazwischen, Mais, viel Gemüse, sogar Tomatenfelder, Treibhäuser, Wein wie bei uns die Obstplantagen, teils mit schönen Rosen zu Beginn der Zeilen. Kleine Dörfer, in manchen riecht es schön nach Jasmin, manche haben viel Verkehr. Damit gehen die Kinder mittlerweile sehr routiniert und sicher um, wobei die Autofahrer Respekt und Freude an den Kindern haben und Rücksicht nehmen. Mittagspause in einem schönen Park. Der Nachmittag zieht sich etwas, wird aber sehr souverän gemeistert.

Schon gegen 15:30 sind wir auf dem Demeter Hofgut La Collina bei Reggio, einem sehr schönen Anwesen, auf dem die Laurofahrer seit vielen Jahren sehr gastfreundlich willkommen geheißen werden. Die Zelte werden in einem schönen Garten aufgebaut, die Küche auf einen Wiese neben einem Feld. Während manche Betreuer gerne ein Nickerchen im Schatten machen, freuen sich die Kinder über die freie Zeit, spielen, schreiben Tagebücher, unterhalten sich, machen Fotos und vieles mehr. Dann gibt es wieder ein leckeres Menü. Das hebt die sowieso schon gute Stimmung noch weiter an. Auf weiten Teilen des Hofs erklingt Kinderlachen. Die Sonne versinkt im Dunst am Horizont, es wird endlich mal etwas kühler. Wie immer bewegen sich die Kinder ab 21 Uhr in die Zelte, ab 21:30 Uhr ist Nachtruhe. Die Zeltbegleiterstehen bei ihren Zelten, hier und da werden Handschuhe, Helme und was sonst noch alles gesucht und schnell geholt, alles beruhigt sich. Die Begleiter setzen sich zusammen für die Besprechung des morgendlichen Tags.

Regio nell´Emilia - Rioveggio

106 km | 540 Höhenmeter


 

Mittwoch, 31.05.2023

Ein Frosch quakt am Teich, leise gleitet eine Nachtigall durch die Lüfte und lässt ihren Gesang erklingen. Und dann ist es still. Kein Knistern, nicht das leiseste Rascheln in den Zelten der Reisenden. Es wartet ein Freudentag, an dem ein ganz besonderer Mensch der Welt geschenkt wurden – und das soll gefeiert werden. Die Freude ist spürbar.

Geburtstag. Zwei Lieder werden angestimmt, um die Schlummernden aus ihren Träumen zu locken und den Tag zu begrüßen. So steigt erquicklich beim morgendlichen Mahl die Stimmung. Genüsslich werden die reichhaltigen Speisen eingenommen – das Leben beginnt und die Strapazen der Weiterreise können kommen.

Die Räder gesattelt und aufgestiegen, lassen wir das Nachtlager hinter uns liegen.
Im schnellen Trapp geht´s auf und ab, davor gießt letzte Weite sich in Breite.
Tief sind die Löcher, rau die Wege, wild geht es zu im freien Gehege.
Die gemütliche Rast befreit uns von Last.
Konzentration nun gefordert von allen, niemand will vom Radel fallen.
Enge Straßen, dichter Verkehr lauern auf Kommende von weit her.
Das Erreichen am Platz beendet die Plage, wir finden Frieden auch diese Tage.
Die süße Kost spende Frieden und Trost.
Die Dichtkunst ist aus, wir sind wohl Zuhaus.
 

Rioveggio - Montecatini Terme

97 km | 1006 Höhenmeter


 

 

Donnerstag, 1. Juni 2023

Heute sind wir über das Apenningebirge gefahren. Frische, kühle Luft, strahlende Sonne, ein leichter Wind, perfektes Radfahrwetter. Grüne Berge, Wälder, die kleine Gebirgsstraße schlängelt sich in engen Kurven durch die Berge. Schon gestern haben wir die heiße Poebene verlassen und sind hoch in die Berge. Die Nacht war klar und recht frisch, Berge eben. Der Morgen schon perfekte Routine, und dann ging’s ca. 25 km nur aufwärts. Aber das ist nicht unangenehm. Als wir gestern die Kinder gefragt haben, was anstrengender war, die Ebene oder die Berge, wurde die Ebene recht deutlich als anstrengender beurteilt. Das erscheint erstaunlich, denn in Deutschland sind die Städte in den Ebenen die Radfahrerstädte, und wo Berge sind, radelt man nicht so gerne. Aber wir radeln nicht, wir fahren Rennrad. Langstrecke. Da können die langen, geraden Straßen in der Hitze, im Verkehr und Qualm und Staub nervtötend sein. Viel schöner sind da die grünen Schlängelstraßen, die durch die Berge führen, nach jeder Kurve ein anderer Blick, frische Luft, Grün. Die Steigungen sind nicht so sehr das Problem. Heute hat eine Schülerin gesagt, dass sie eigentlich lieber die Berge hochfährt, als runter, rauf ist in gleichmäßigem Tritt – wenn es nicht zu steil ist – angenehm, runter ist stressig. Apropos stressig: Wie bei manchen Sportarten spielen die Emotionen eine große Rolle, ob’s klappt. Und wenn das Fahren schön ist, geht’s leichter. Nach dem Erklimmen des Passes geht es 35 km bis kurz vor Florenz nur noch abwärts, endlos, meist flach abwärts und gut fahrbar, eine tolle Abfahrt. Es geht in die Toskana hinein, schöne Bergdörfer, viele Blüten überall, tolle Aussichten in tiefe Täler. Es ist eine sehr schöne Strecke. Bis Prato bei Florenz, dann sind die Straßen groß und mit viel Verkehr. 30 km geht es ausschließlich durch urbanes Gebiet. Es ist heiß, nix mehr mit frischer, kühler Bergluft, 30°C zeigt das Thermometer. Aber überall gibt es Gelaterien und laden zum Einkehren ein. Hier und da stehen einzelne Gruppen davor und erfreuen sich am guten italienischen Eis.

Da dieser Teil der Strecke nicht besonders schön ist, hat heute eine Gruppe eine besonders schöne alternative Route über den Apennin gewählt. Es ist eine wunderschöne Route ohne Verkehr und mit sehr guter Straße. Ein echtes Highlight. Oben am Pass gibt es wunderbare Ausblicke, die zum Verweilen einladen. 

Aber die Route hat 1.650 Höhenmeter – ohne Begleitfahrzeug und Mittagsrastplatz. Klar, das ist besonders anstrengend, und die Gruppe war schnitzelfertig, als sie hier in Montecatini auf dem schönen Campingplatz ankam. Und glücklich, sehr glücklich. Es war wunderschön. Aber die reguläre Route hat auch 1.180 Höhenmeter bei sehr schöner Landschaft und wurde sehr gerne gefahren. Eine Gruppe hat endlos gesungen: „Fünf kleine Fische, die schwimmen im Meer, blub blub blub blub, …“ Das macht gute Laune. Eine Aufnahme vom Lied ist beim morgigen Tag hier in diesen Berichten eingestellt. Solche Etappen, vor allem die Alternativroute, zeigen einem die Möglichkeiten des eigenen Seins, das Verschieben von Grenzen, das Erspüren dessen, was man zuvor als unmöglich gehalten hat, zeigen, zu was man gemeinsam fähig ist. Die Verbindung mit dem eigenen Körper wird gestärkt, ebenso wie das Selbstbewusstsein. Eine großartige Erfahrung. Und es wird erlebbar, wie erstaunlich viel die Laune auf den Körper wirkt – um Frohen, wie im Traurigen.

Auf der anderen Seite erleben wir, dass wir so viele SchülerInnen wie noch nie in den Begleitautos hatten. Gestern 11 Kinder, heute auch wieder 11. Von 50. Die Hauptursachen sind überlastete Knie und grobes Unwohlsein (Übelkeit, Kopfschmerzen (trotz vielem Trinken), Bauchweh und dergleichen), vielleicht ein Überlastungszeichen. Auch hier gehen Körper und Psyche zusammen, beides kann überlastet werden oder sich gegenseitig beflügeln. Wenn die Psyche nicht mehr kann, kann auch der Körper nicht mehr. Wenn Begeisterung da ist, Gruppendynamik mit Singen, Schwätzen und Lachen, fliegen die Kilometer. Aber das war schon immer so. Was ist in diesem Jahr anders? Es gibt viele Erklärungen, wir wissen nicht, welche besonders einschlägig ist. Früher sind deutlich mehr Jungen mitgefahren als Mädchen. In diesem Jahr sind es 2/3 Mädchen, doch sie sind nicht überproportional häufig im Begleitauto. Wir sind bisher im Schnitt 100 Streckenkilometer und 800 Höhenmeter gefahren, am Tag. Und das nicht nur sonntags mit Erholungstagen dazwischen, wir fahren es heute den vierten Tag hintereinander. Das ist eine unglaubliche Leistung, die allen Interessierten hier in Italien, die uns sehen und fragen, die Bewunderung ins Gesicht schreibt. Und uns Begleitern immer wieder auch. Das diese Leistung nicht von allen an jedem Tag erbracht werden kann, ist an sich nicht erstaunlich. Und  vielleicht hat sich auch die Konstitution der Kinder verändert, die Fitness, oder die allgemeine seelische Belastung. Die Kinder haben in den letzten zweieinhalb Jahren mit Krieg, Klima und Corona viel erlebt, das das Vertrauen in die Welt erschüttern könnte. Auch das kann sich in der körperlichen Leistungsfähigkeit niederschlagen. Umso schöner, wenn es hier zu wunderbaren Erfahrungen und Erfolgserlebnissen kommt, die die Kinder in schöner Weise mit ihrem Körper und der Welt, mit sich selbst, verbinden.

Morgen ist Ruhetag, wie schon in Lecco (siehe oben der Bericht). Ausschlafen, Räder putzen, ausruhen, schlafen, spielen, im Pool planschen wenn das Wetter warm genug ist. Der Campingplatz hier in Montecatini ist sehr schön und ein guter Platz zum Verweilen.

Ruhetag in Montecatini

Freitag, 2. Juni 2023

Ruhetag auf einem sehr schönen Campingplatz!

Was wir heute gemacht haben? Ausschlafen, gemütlich frühstücken, Räder putzen, in Gruppen nach Montecatini Alto laufen zur Eisdiele, zum Einkaufen oder einfach nur so, im Pool planschen, spielen und toben, Tagebücher schreiben, Wäsche waschen, Volleyball spielen, singen, Duschen, Haare waschen, im Zelt oder auf der grünen Wiese schlafen, Abendessen, in der Abendrunde den morgigen Tag besprechen. Viel soziale Interaktionen, sehr gute Laune, Lachen und Spielen überall, Sonne, Wärme, ein großes Gewitter, das am Abend dicht an uns vorbeizieht und uns verschont.

Ein toller Tag, schöner hätte es nicht kommen können.

Montecatini Terme - Casiano di Murlo

127 km | 1300 Höhenmeter

 

 

Samstag, 3. Juni 2023

So sonnig, warm und für unsere Tour gewöhnlich, wie der heutige Tag größtenteils verlief, so nass, kalt und spektakulär endete er. Aber das war morgens noch nicht erahnbar. Wie immer startete der Tag nach dem Wecklied bei strahlender Sonne, unserem guten Frühstück, dem Abbauen der Zelte, einpacken, Räder checken, losfahren.

Die Fahrt abwärts nach Montecatini Therme bot tolle Ausblicke über das weite Tal mit vielen Ortschaften, das sich bis Florenz erstreckt. Dann ging es erstmal bis zum Mittagsplatz 65 km durch mehr oder weniger urbanes Gebiet mit mittleren Landstraßen, durch viele Ortschaften bei nicht wenig Verkehr. Wie jeden Tag war es von ziemlich warm bis heiß bei strahlender Sonne. Beim Mittagsplatz hatten wir dann wieder recht viele SchülerInnen, die nicht mehr weiterfahren konnten und in die beiden Begleitautos verteilt wurden. Der Vormittag war anstrengend, Es gab keine Höhenmeter, die sind nicht anstrengend, es ist die Fahrt in der heißen Ebene, die anstrengend ist.

Nach dem Mittag begann dann der spannende, der schöne und der spektakuläre Teil der Route. Spannend, weil die einzige Brücke über die Eisenbahnlinie in einem engen Tal abgerissen war und sich noch im Neubau befand. Die offizielle und für uns nicht fahrbare Umleitung ging über die Autobahn, eine andere akzeptable Umleitung gab es nicht, denn alle anderen Routen hätten uns zusätzliche mehrere hundert Höhenmeter beschert, das wollte niemand. Also durch die stille (Samstag) Baustelle, die Räder getragen, unter der großen Baggerschaufel hindurchgekrabbelt, durch den Lehm gestiefelt – die schönen, frisch geputzten Räder! Dann kam der schöne Teil durch die typischen Hügel der Toskana mit den schönen Höfen auf Hügeln mit Zypressenalleen zwischen geschwungenen Getreidefeldern, ein sehr schöner Anblick. Auf einer Hügelkette zogen die Gruppen südwärts und bald tauchte Siena links von uns auf, eine Stadt mit einer tollen Silhouette, so richtig Toskana zum Genießen, was Begleiter und SchülerInnen gleichermaßen ausgiebig taten.

Und dann kam zum Schluss der spektakuläre Teil: Vor uns eine Gewitterfront, aus der sich ein undurchdringlicher Wasservorhang ergoss. Bitte lass den an uns vorbeiziehen! Aber nein, jetzt ging die Höllenfahrt los. Die Gruppen waren weit verteilt in der Landschaft, sodass die Erlebnisse ganz unterschiedlich waren. Zwei Gruppen kamen über eine Kuppe und wurden plötzlich von einem solchen Wind und Regen beschossen, dass es sich anfühlte, als würde man mit Steinen beworfen. Flucht, irgendwohin. Aber es gab nichts. Die SchülerInnen wurden von der Straße gefegt, eines der Begleitautos schoss heran, stellte sich am Straßenrand auf und bot Windschutz, in den sich die Gruppen verkrochen – pitschnass. Eine andere Gruppe kam in Hagel, zwei Gruppen fanden zeitig Deckung in einer Bar und kamen trocken durch das Desaster. Eine weitere Gruppe verkroch sich in ein Häuschen einer Bushaltestelle auf dem Land, Vorderräder draußen, Hinterräder und SchülerInnen unter dem Dach – kuschelig, aber halbwegs trocken. Die erste Gruppe versuchte die Flucht nach vorne, gab mächtig Tritt, und doch erwischte es sie 1 km vor dem Campingplatz – pitschnass. Alles kam so plötzlich, je nach Ort, wo man erwischt wurde, Hügel, Wolken über einem, wenn man da nicht Glück hatte, hatte man eben Pech. Ein Blitz schlug ganz in der Nähe der ersten Gruppe ein, es krachte unglaublich. Und die hinterste Gruppe, 15 km weiter hinten erwischte es ganz gruselig: Aus den Augenwinkeln das helle Licht schräg hinter einem, dann einen Bruchteil einer Sekunde ein ganz unheimliches Geräusch, Knistern und rauschen, und durch die Glieder fuhr ein Kribbeln, wie alle Radler der Gruppe übereinstimmend berichteten, wie ein gleitender Stromschlag in einer Welle, der durch den ganzen Raum lief, von einer Seite des Körpers zur anderen, die Härchen auf der Haut aufrichtend. Und dann ein scharfes, peitschendes Krachen, gefolgt von einem tiefen Donnern. Nach diesem Schreck war erstmal eine Pause fällig zur Erholung -  was für ein Erlebnis! Um die Gruppe herum waren Bäume, Häuser, keiner hat gesehen, wo der Blitz eingeschlagen war, aber es muss sehr nah gewesen sein.

Die Begleitautofahrer taten, was sie konnten, gaben Regenschutz und Unterschlupf für diejenigen Gruppen, bei denen sie gerade waren. Die letzten, erschöpften Gruppen wurden für die letzten 10 km mit Gummibärchen und Schaummäusen versorgt, neben einer bergauf radelnden Gruppe herlaufend den süßen Treibstoff an alle verteilend, welch eine Freude! Auf dem Campingplatz hatte das Küchenteam das große Zelt schon aufgebaut, ein Regenschutz für alle einlaufenden Gruppen. Schnatternd und teils mit den Zähnen klappernd liefen die Gruppen ein, wer hat nach einem solchen heißen Tag schon warme Kleidung dabei. In Decken gehüllt oder unter der warmen Dusche aufwärmen, ankommen, tief durchatmen. Doch das Erlebnis wandelte sich schnell in Erzählungen, es wurde gespielt, bald gab es leckeres, wärmendes Abendessen mit einer gewissen Schärfe, die die Seele wieder mit dem Körper verband – es wird von allen mitgedacht. Die Begleiter spülten, die Kinder wurden zeitig in die Zelte geschickt. Morgen wird es wieder ein anspruchsvoller Tag, und ein schöner – wenn das Wetter uns nicht wieder mit allen Wassern wäscht.

Ja, noch ein Nachtrag: Heute ist TOM, unser Tour Operation Manager, der sonst mit der Küche fährt und den Zeltplatz vorbereitet, auf dem Rad mitgefahren. Er war auch auf den langen Trainingsausfahrten mit dabei. Aber der heutige Tag hat ihn an seine Grenzen gebracht, er wurde die letzten Kilometer teils geschoben. Voll Bewunderung gingen seine Blicke zu manchen SchülerInnen, die wie die Bergziegen die Berge heraufzogen. Welch eine Entwicklung der SchülerInnen, zu welch einer Leistung sie fähig sind! Von Tag zu Tag werden sie kräftiger, mutiger, selbstsicherer, bewältigen immer größere Herausforderungen, die nur die aller-allerwenigsten von uns Erwachsenen schaffen würden. Sie werden sehr gewachsen sein, wenn sie zurückkommen – innerlich, aber vielleicht sieht man es auch äußerlich, und wenn es nur der andere Blick ist, der Blick eines großen Menschen.

Casiano di Murlo - Bolsena

110 km | 1300 Höhenmeter


 

Sonntag, 4. Juni 2023

Sonne, zum Glück! Schon beim Wecken scheint sie auf den vielen Matsch, der den Küchenbereich und das Gemeinschaftszelt umgibt. Hinter dem Gepäcklaster ist eine große Plane über den Matsch gelegt. Da sollen dann die Schlafsäcke, Isomatten, Zelte und Taschen von allen drauf, bevor sie in den Laster eingeladen werden, damit nicht alles matschig wird. Aber damit war’s das auch schon mit Beeinträchtigungen. Der Morgen ist wie an jedem Tag: emsiges Treiben und Anspannung und Vorfreude auf die Abenteuer dieses neuen Tags. Von Ruhetag zu Ruhetag werden die Etappenserien anspruchsvoller, das ist deutlich zu merken. Gestern und heute sind Etappen, die es wirklich in sich haben. Und die beiden Schlussetappen nach dem Ruhetag in Bolsena erscheinen übergroß – aber so weit sind wir ja noch nicht.

Die urbanen Zonen mit viel Verkehr haben wir gestern hinter uns gelassen, nun liegt die Toskana pur vor uns: diese wunderbaren geschwungenen Getreidefelder und Wiesen der Südtoskana, die Zypressenalleen zu den großen Landgütern auf den Hügeln, die alten Städte auf den Spitzen der Berge, was für Anblicke! Zunächst geht es lange abwärts und dann durch die Hügellandschaft. Da das Trinkwasser hier heftig gechlort ist, fahren die Begleitautos zu uns bekannte Dorfbrunnen mit gutem Quellwasser, um die drei großen Wasserfässer aufzufüllen. Denn wenn das Wasser nicht schmeckt, trinken die Kinder nicht, und wenn die Kinder nicht trinken, kommen sie nicht weit auf dem Rad. Gutes Wasser ist daher radelnotwendig.

Die Schönheit der Hügel hat auch ihre Kehrseite: Das nicht endende Auf und Ab, das auf dem Rad Kraft kostet. Zwar radeln alle Gruppen wohlgemut durch die Schönheit, aber anstrengend ist es schon. Mittags sind wir in der schönen Stadt Quirico, doch das ist noch nicht unser Mittagsplatz, der liegt kurz vor dem Pass über einen Ausläufer des Apennins, und bis dahin geht es aufwärts und aufwärts und verlangt alles von uns ab.

Doch dann geht es wieder hinunter zum Bolsener See, einem riesigen Kratersee eines vor Urzeiten erloschenen Vulkans. Vom Kraterrand, auf dem das Örtchen San Lorenzo Nuovo liegt, hat man einen tollen Blick auf den See. Doch heute ist es diesig, die Wolken hängen tief, kündigen Nieselregen an, und der große See liegt grau und trüb vor uns. Aber bevor wir zum See abfahren, kehren wir alle in eine gute Eisdiele ein und feiern unseren Erfolg über all die Berge. 61 Portionen Eis, der nette Platz vor der Eisdiele ist voller schleckender Kinder und Begleiter.

Und dann geht es abwärts zum Campingplatz direkt am See, der eigentlich zum Baden einlädt. Aber nicht heute, denn es ist gar nicht mehr warm, tröpfelt etwas, alles grau, der See lockt die müden Glieder heute gar nicht.

Morgen ist Ruhetag, wie schön ist das Ausruhen. Die Stimmung ist entspannt nach dem Duschen und beim Abendessen. Spielen, unterhalten, Tagebücher schreiben, zu Musik aus dem Küchenwagen singen, buntes Treiben von vielen zufriedenen jungen Menschen.

Ruhetag in Bolsena

Montag, 5. Juni 2023

Auch in die Ruhetage kommt mittlerweile Routine: Ausschlafen, Frühstück von der Frühstücksbar holen, Besprechung, Räder putzen, Freizeit. In der Freizeit wird viel im Gemeinschaftszelt gespielt, Tagebücher geschrieben, unterhalten, gesungen, gelacht. Am See sitzen und miteinander unterhalten, einige ganz Tapfere gehen im See baden, der wunderschön da liegt und lockt, wenn nicht das graue Wetter mit immer wieder Regenschauern wäre. Manche gehen am Nachmittag in das sehr schöne Städtchen Bolsena. Abends wieder das Grillbüffet und eine schöne Besprechung am Strand bei Sonnenuntergang, bei der am Schluss mit viel Spaß die neue Lauro-Hymne gesungen wird – lasst Euch überraschen, wie die geht.

Bolsena - Ostia

146 km | 885 Höhenmeter


 

Dienstag, 6. Juni 2023

Die Nacht konnte einen Schrecken einjagen: Es schüttete und windete in einem Gewitter derart, dass mancher hoffte, sein Zelt möge nicht wegfliegen. Doch am Morgen ging die Sonne wieder auf und strahlte den Matsch und die tiefen Pfützen auf dem Platz mit dem unschuldigsten Morgenlicht an.

146 km heute und 885 Höhenmeter, eigentlich wollten wir heute früher losfahren. Aber die guten Gewohnheiten haben eben auch den Effekt, dass alles geht wie bisher, und nicht schneller. Doch die Stimmung ist gut, es wird ein spannender Tag. Und er ist gut vorbereitet: Die Schüler/Innen mit Knieproblemen fahren zuerst im Begleitauto hoch zum Kraterrand, sodass sie keine großen Steigungen bewältigen müssen. Die mit Kraftproblemen wegen Schnupfen u.ä. fahren nur am Nachmittag, um nicht abbrechen zu müssen. Und so ziehen die neun Gruppen in freudiger Erwartung wieder los. Es geht den Kraterrand hoch, dann wieder hinunter, dann in der Ebene und schließlich noch über eine höhere Hügelkette. An guten Quellen wird gehalten, denn das Wasser vom Campingplatz ist wegen Chlor kaum genießbar. Ein Begleitauto tankt an eine Quelle in Bolsena gutes Wasser in Fässer – wir werden es heute brauchen.

Die heutige Etappe hat viel Verkehr, geht kleinere Strecken über vierspurige Schnellstraßen, da ist Konzentration nötig. Doch es zeigt sich, dass die SchülerInnen mittlerweile viele hundert Kilometer Erfahrung im konzentrierten Fahren im Verkehr haben. Die Reihen fahren gut in der Spur, die Kommandos werden laut und zügig durch die Gruppen gegeben, Autos, die in Kurven überholen und vom Gegenverkehr mitten in die Gruppe gedrückt werden, beeindrucken nicht mehr, auch wenn sie nur 10 cm vom Lenker entfernt sind. Disziplin und Konzentration sind beeindruckend. Die Begleitautos folgen genau den Plänen, nehmen Kinder über vereinbarte Strecken mit, geben sie an vereinbarten Orten ab. Es rollt. Und es rollt gut. Die Stimmung ist prima, das Wetter ist gut – bis plötzlich eine tiefdunkle Wolke über unserer Straße steht. Und nein, sie zieht nicht weg, trotz hoffender Blicke, ergießt ihre kostbare Fracht wie reich segnend über die Gruppen, die diesen Segen nicht immer wertschätzen können und unter Tankstellendächer oder in Bars flüchten.  Andere Gruppen werden richtig begossen. Doch schnell ist die Sonne wieder da und die Trikots trocken – die Schuhe nicht ganz so schnell. Und weiter geht die schnelle Fahrt. Von einer Senioren-Rennradgruppe kommt spontaner Applaus für die Kinder, die mit unglaublichem Tempo wie die Profis der Tour de France konstant die Straße entlangziehen.

Die Gruppen begrüßen sich mit dem neuen Lauro-Schlachtruf, einem Wechselgesang zwischen zwei Gruppen:

Tour de Lauro – Tour de Lauro,
Auf in den Süden – lasst die Räder fliegen.

Bei 90 km ist der Mittagsrastplatz auf einem Kinderspielplatz neben einer großen Bar, dann geht die geordnete Fahrt weiter Richtung Flughafen Rom, wo die Gruppen 15 km vor dem Campingplatz an einer Tankstelle Treibstoff in Form von Limo, Eistee, Gummibärchen und Knabbernüssen bekommen, um sich in einer kleinen Pause für die Fahrt im Berufsverkehr durch Ostia zu rüsten. Gestärkt und konzentriert ziehen die Gruppen zum Meer, dann am Strand entlang, das Meer lockt – Baden! Schnell die Zelte aufgebaut, Badezeug herausgekramt  und zum Strand, wo bald eine große Gruppe lachender und prustender Kinder in den leichten Wellen des Mittelmeers spielt.

Nach dem Abendessen wird die abendliche Besprechung mit der Lauro-Hymne beschlossen. Hier die erste von sechs Strophen, die kursiven Passagen singen die Kinder als Antwort im Chor:

Tour de Lauro – Tour de Lauro,
Auf in den Süden – lasst die Räder fliegen,
Wir ziehen dahin durch Hitze, Staub und Wind.
Einerreihe! – Einerreihe!, Links abbiegen – links abbiegen,
Die 120 km heute schafft doch jedes Kind.

Morgens noch müd meine Welt beim Wecken – kalt im Zelt,
Schaffe ich die Bergetappenstrecken?

 

Morgen haben wir 182 km zu bewältigen mit der Einfahrt nach Lauro, unserem großen Ziel. Wir werden nach diesem ganz besonderen Tag erst sehr spät auf dem Campingplatz sein und all unser Bewusstsein wird bei den Kindern bleiben. Daher gibt es den Bericht von morgen erst übermorgen.

Ostia - LAURO - Baia Domizia

~186 km | 690 Höhenmeter


 

 

Mittwoch, 7. Juni 2023

Das große Finale! Wecken schon um 6 Uhr, denn wir haben heute 185 km vor uns, das dauert. Erwartungsvolle Spannung liegt in der Luft, Frühstück und Arbeiten werden still, noch müde und zügig erledigt, denn alle wollen los, aufs Rad. Alle kommen zusammen zur Morgenbesprechung, auf der alle Worte zur heutigen Etappe erwartungsvoll aufgenommen werden.

Der Spüldienst wird von vielen Händen schnell erledigt. Die Sonne scheint, schnell wird es warm. Aufs Rad! „Gruppe 8, sammeln!“ „Gruppe 2!“ Eine Gruppe steht ungeduldig und wartet: „Ralf!“ Und dann ziehen die Gruppen zügig vom Platz, in Minuten wird es sehr still. Die Küche räumt noch zusammen, das hintere Begleitfahrzeug fährt ein paar Minuten nach der letzten Gruppe los und dieser hinterher. Wo sind die hin? Die können doch noch nicht weit sein! Gas geben, schnell entlang der Dünen, die hier und da einen Blick aufs Meer freigeben. Die Gruppe ist weg! Meine Güte, wie schnell müssen die unterwegs sein. Doch dafür steht Gruppe 9 am Straßenrand: Platten. Anhalten, beim Aufziehen des Mantels über den neuen Schlauch helfen, Aufpumpen, fertig, die Gruppe fährt weiter.

Wir erreichen Torvaianica, eine Stadt, die sich endlos am Meer entlangzieht. Dichter Verkehr, den werden wir heute über mehr als 100 km haben. Aber die SchülerInnen lassen sich durch nichts mehr beeindrucken. Wie professionell ziehen sie in perfekten Reihen rechts oder links an den Autokolonnen vorbei, folgen ohne Verzögerung den Kommandos des vorderen Begleiters, stoppen geordnet, wenn es zu eng wird, und ziehen mit schneller Fahrt durch die Städte. Das hinter Begleitfahrzeug kommt im dichten Verkehr nicht so schnell voran. Es ist eine Freude, die SchülerInnen in diesem Verkehr zu sehen, keine Spur von gefährlichen Situationen, immer genügend Abstand, gekonnt um tiefe Schlaglöcher gezirkelt. Was für ein Tag! Was für eine Tour! Welch ein Unterschied zu den ersten Tagen. Die Kinder sind so geübte, disziplinierte Fahrer geworden! Das hintere Begleitfahrzeug steht am Straßenrand, Gruppen fahren vorüber: Foto! In allen Gruppen steht die Freude am Fahren, die Erwartung an den Tag, ins Gesicht geschrieben. „Tour de Lauro!“ –„ Tour de Lauro!“ schallt es zurück. „Auf in den Süden.“ – „Lasst die Räder fliegen!“

Es geht in schneller Fahrt durch Pinienalleen, dann in der warmen Sonne am unendlichen Strand am strahlend blauen Meer entlang. Der kühlende Wind weht kräftig aus halb fünf Uhr vom Meer heran, also schräg rechts von hinten, schiebt gut an. Kurz machen hier und da Gruppen Pause für einen Riegel und zum Trinken, dann geht die schnelle Fahrt weiter. Der Wind schiebt, das Tacho zeigt an geraden Strecken hinter den Dünen beständig über 30 km/h, und die Fahrt geht leicht. Nach 50 km kommt dann der Flow, in der einen Gruppe früher, in der anderen etwas später. Dieser Flow, wenn man gleichmäßig tritt, der Asphalt unter einem durch fliegt, der Wind um den Helm rauscht, der Fahrtwind den Schweiß kühlt, man in dieser Bewegung beständig treten kann, fast ohne Kraftaufwand, im Windschatten gezogen wird, der Blick geradeaus, das Hochgefühl des gekonnten Rennradfahrens. Gestern kam es schon auf, heute ist es richtig da. Gruppe für Gruppe.

Die Fahrt geht durch Pinienalleen der Via Appia, die 312 v. Chr. im römischen Königreich angelegt wurde, und die auch die Königin der Straßen genannt wird. Man kann sich vorstellen, wie über zweitausend Jahre die Ochsenkarren mit Waren, die schnellen Reiter und die Legionäre auf ihren langen Wegen unter den großen, Schatten spendenden Pinien gefahren, geritten und geschritten sind, die Geschichte duftet fast aus den Ritzen der ehrwürdigen Straße. Apropos Ritzen: Die Schlaglöcher ziehen sich tief, dicht an dicht und in unendlicher Vielfalt über die Straßen. Italien ist halt nicht Römisches Reich. Das Begleitfahrzeug schüttelt mächtig, die schmalen Rennradsattel drücken unangenehm aufs Gesäß, im Stehen umfahren geht nicht, zu instabil, also vorbei, so gut es geht, dem Vordermann nach, vertrauend, dass er/sie eine gute Spur findet. Aber alle werden durchgeschüttelt.

Terracina, die alte Stadt am Meer, schnurgerade führt die alte Straße zum Meer, zum alten Stadtzentrum, wo wir nach 104 km in einem kleinen Park Mittagspause machen. Markus hat zwei riesige Melonen gekauft, süß, rot, begehrt! ½ kg für jeden. Aber kein Messer da! Doch in der Werkzeugkiste findet sich ein Cutter und eine große Schere. Also werden die beiden Melonenriesen mit Cutter und Schere kunstvoll seziert und an alle verteilt, der süße Saft trieft, zufriedene Gesichter.

Die Gruppen warten auf die letzte Gruppe, die ca. 1h nach der ersten eintrifft, sie ziehen später eng gestaffelt vom Mittagsplatz, denn wir wollen alle in etwa gleichzeitig bei der Bar Italia 90 kurz vor Lauro eintreffen, uns dort sammeln, denn von dort geht es in großem Zug gemeinsam nach Lauro. 75 km geht die Nachmittagsstrecke. Am Meer entlang, vor Gaeta geht die Küstenstraße hoch in die Berge, wunderbare Aussichten über das blaue Meer, die langen Strände, die vielen Touristenorte, über ehrwürdige, alte Brücken. Es läuft, was für ein Tempo, was für ein Gefühl! Der Wind schiebt, die Laune ist auf dem Höhepunkt, der Hintern schmerzt, unangenehm. Warum kann man keine anderen Sattel bauen?! Km 130, 140, 150, 160, 170, anstrengend, lang, heiß, aber irgendwie wie im Traum. Lauro, wir kommen!

An der Bar werden die Gruppen mit Laola erwartet, Jubel, Umarmungen, Tränen in den Augen. Wir haben es fast geschafft, diese Königsetappe, und ohne Ausfälle und Unfälle, Verletzungen. Welch eine Freude. Und dann geht es los, das große Finale! Kurze Besprechung, dann in 3er-Reihe die kleine Landstraße entlang. Begleit- und Küchenfahrzeuge schirmen die riesige Gruppe von hinten und vorne ab. Es geht durch die schmalen Gassen von San Castrese, wo nur ein Auto durchpasst. Wie eine Flutwelle wälzt sich der Riesentross Radfahrer durch den Ort, zum Glück versperrt keine Auto den Weg, denn so einen Tross stoppt man nicht einfach so, genauso wenig wie eine Flutwelle.

Dann bergauf nach Lauro. Ein Begleitauto führt hupend vor, vertreibt alle Hindernisse, die Flutwelle hinterher, in 3er-Reihe auf den Marktplatz, wo die Radfahrer wie eine perfekte Zirkusnummer in 3er-Reihe im Kreis fahren, dann in 6er-Reihe, immer weiter, wie ein riesiger Wirbel, Jubel, Rufe aus dem Wirbel. Und dann läuten die Glocken der Kirche neben dem Marktplatz in großem Geläut. Der Wirbel wirbelt, Gänsehaut, Tränen im Gesicht, welch ein Glück! Dann stoppt der Pulk geordnet, wie ein Stern, Arme fliegen hoch, ein gemeinsamer Jubelruf. Lauro! Wir sind da! Über die Alpen, durch die Toskana, über den Apennin! Lauro, du unser Ziel, Wir sind da! Wir haben es geschafft. „Tour de Lauro!“ – „Tour de Lauro!“ – „Auf in den Süden!“ – „Lasse die Räder fliegen!“. Der Marktplatz bebt unter den donnernden Stimmen aller. Schaulustige verfolgen fasziniert das Treiben. Bürgermeister und Priester stehen beiseite und schauen freundlich der vielen Freude zu. Dann löst sich der Pulk auf, die Glocken verstummen. Die Küche hat Tische aufgebaut mit Kuchen, Obst, Getränken. Oh mein Gott, wir sind da! SchülerInnen und BegleiterInnen liegen sich in den Armen, schweißnass, Abklatschen, Lachen, Freude überall. Was für ein Moment! Eine Limo für jeden, Kuchen, Obst, Pause, essen, freuen. (Es gibt einen Film von der Einfahrt und dem Wirbel. Doch der ist zu groß zum Hochladen in das Internet. Wir werden Datensticks machen für alle mit den schönsten Bildern und Filmen.)

Noch 10 km nach Baia Domizia, wo unser Campingplatz für die nächsten zwei Tage ist. Nch langer Freude auf dem Marktplatz ziehen die Gruppen ausgelassen aus Lauro bergab gen Meer. Singen in den Gruppe, anfeuern aus den Begleitautos, rufen, lachen. Wir sind angekommen! Was für ein Gefühl. Die Disziplin lässt stark nach, doch die Übung reicht, um die Gruppen geordnet zum Strand zu bringen. Zelte aufbauen, und dann auf, ins Meer! Der Wind hat schöne Wellen aufgetürmt, die SchülerInnen toben in der Brandung, Rufe, Jubel, Gelächter, Freude in den Wellen.

Die Sonne geht unter, die Duschen sind warm und lang. Aufwärmen, warm anziehen, Abendessen, Erschöpfung, es ist schon spät. In der Abendbesprechung tragen wir die Erlebnisse des heutigen Tages zusammen, diesmal aus Begleitersicht. Hier wurde noch etwas Wunderbares deutlich: Die beiden Klassen sind freundschaftlich zusammengewachsen. Ob 7a oder 7b, es mischt sich in Frieden und Freundschaft, und auch die SchülerInnen bestätigen, dass diese Tour frühere harte Grenzen überwunden hat. Es hat sich eine ganz neue Gemeinschaft gebildet. Was für eine Tour!

Donnerstag, 8. Juni 2023

Sonne, Wärme, blauer Himmel. Ein Teil der Erschöpfung hat der Schlaf getilgt, doch heute brauchen wir noch viel Ruhe. Der Tag beginnt, wie jeder Pausetag, mit Ausschlafen, Frühstücken, Räder putzen. Dann an den Strand, baden, im Sand spielen. Die Sonne wärmt, das Meer ist ruhig, die Stimmung nach erstem ausgelassen Planschen auch. Die Begleiter bauen das große Gemeinschaftszelt ab, um die dreckigen Planen zu waschen. Die Räder werden nach Gruppen beschriftet, die Pedale , Licht, Tachos abmontiert. Denn 70 Räder müssen im Lkw verstaut werden. Ruhiges, konzentriertes Arbeiten während die SchülerInnen am Strand sind. Um 19 Uhr gibt es Abendessen und morgen wird es nochmal ruhig und badefreudig, bevor der große Bus kommt und die SchülerInnen am Abend gen Heimat mitnimmt, damit sie am Samstag in der Schule auf ihren Rädern einfahren können.

Freitag, 9. Juni 2023

Wie gut die Sonne tut, das Ausruhen, der Strand, die Geselligkeit. Frühstücksbüffet, spielen, Tagebücher schreiben, singen, strand, Freunde, schlafen, schwatzen, Quatsch machen, baden, duschen, alles zusammenpacken, Zelte zusammenlegen und einpacken, ein letztes Mal alles Gepäck fertigmachen. Tour de Lauro, sie neigt sich dem Ende zu. Wehmut? Etwas. Und große Freude auf daheim, die Eltern, die Geschwister, das Bett!

Auch die Küche packt alles zusammen, die LKWs werden gepackt, alle Räder werden der Größe nach sortiert und wie Sardinen im Gepäck-LKW verstaut. Die Begleiter und ihr Gepäck werden auf die Autos verteilt. Geschäftiges Treiben auf dem Platz, alles ordnet sich im Laufe des Nachmittags.

Um 5 Uhr gibt es Abendessen in der Pizzeria des Campingplatzes, denn unsere Küche ist schon verstaut. 80 Pizzen sind wie nichts ruck zuck verspeist, wir sind halt Rennradfahrerportionen gewöhnt. Doch zuvor wurde der kleine Supermarkt des Campingplatzes gut besucht, sodass die Rückfahrt mit Chips und Keksen gesichert ist. Dann kommt der große Reisebus. Die Begleitfahrzeuge und LKWs räumen den Platz und fahren Richtung Autobahn. Im großen Bus ist die Stimmung gut, lachen, singen, unterhalten, spielen. Die Berge nördlich von Neapel ziehen am Bus vorbei, Florenz, die Sonne berührt den Horizont, es wird langsam dunkel, und gegen 9:30 heißt es dann: Zähneputzen und ab in die Zelte, wie gewohnt! Und tatsächlich, schnell wird es ruhig im Bus, man versucht zu schlafen, so gut es eben geht in den Sitzen. Stunde um Stunde fährt der Bus im Dunkeln durch Italien gen Norden, Autobahnlichter blitzen durch die Fenster, nur kleine Pausen zum Fahrerwechsel und Austreten unterbrechen kurz die Fahrt.

Samstag, 10. Juni 2023

Es wird hell, die Glieder schmerzen etwas, im Zelt ist doch deutlich bequemer! Aber was soll’s, die Spannung steigt, bald sind wir wieder daheim! In der hellen Morgenfrühe wird Frühstückspause gemacht, die gerichteten Vesperbrote ausgepackt, dann geht es noch 2 Stunden bis nach Salem. Dort sind die Räder schon gerichtet, die Begleiter warten, der Tross sammelt sich. Radklamotten anziehen und auf die Räder! Eine letzte, klitzekleine Etappe von Neufrach nach Rengoldshausen. Meine Güte, wie winzig die Strecke ist, und wie groß sie noch vor drei Monaten war! Die Sonne wärmt sommerlich, die neun Gruppen radeln frohgemut durch die Felder. Schnell sind wir unten bei Puren und sammeln alle Gruppen. Und dann kommt der große Moment: Einfahrt in der Schule! Ein Spalier aus Eltern, Geschwistern und Freunden säumt die Straße, Jubel, Laola, Rufe, Freude! Auf dem Wendeplatz kreiseln wir wieder ein, fast wie in Lauro. Zum Abschluss noch die Lauro-Hymne zusammen singen und dann liegen sich Eltern und Kinder in den Armen. Ein Büffet mit Kuchen und Getränken ist aufgebaut, ausgelassene Stimmung, erzählen. Lauro, wir waren bei dir und sind nun wieder wohlbehalten daheim. Welch eine Freude!

Packen - Rückfahrt

Freitag, 9. Juni 2023